Einleitung
Nikolaus Luckner gehörte zu den ganz wenigen Menschen, denen es gelang, die Standesschranken ihrer Zeit zu überwinden. Aus bürgerlichen Verhältnissen stammend, stieg er in den Adel auf. Damals bestanden nur wenige Möglichkeiten, um so eine Karriere zu machen. Eine davon war der Dienst in der Armee. Durch seine militärischen Leistungen brachte er es vom einfachen Soldaten bis zum Marschall von Frankreich. Dieser erstaunliche Aufstieg ist aber nur die eine Seite der Medaille. Zu seinem Leben gehört auch das tragische Ende in den Wirren der französischen Revolution.
1722 Geburt in Cham
Im Stadtgebiet von Cham ist nur sehr wenig aus der Zeit von Nikolaus Luckner und seiner Familie erhalten geblieben. Sein Geburtshaus existiert nicht mehr und wurde wahrscheinlich schon 1742 zu großen Teilen zerstört. Grund dafür waren die Panduren unter Oberst Franziskus von der Trenck. Sie standen damals vor den Toren und forderten die Übergabe der Stadt sowie eine hohe Geldsumme. Die Chamer Bürgerschaft konnte oder wollte diese Zahlung nicht leisten und verweigerte die Kapitulation. Daraufhin warfen die Panduren brennende Pechkränze auf die überwiegend mit Holzschindeln gedeckten Hausdächer. Das Ergebnis war ein verheerender Stadtbrand dessen Spuren noch heute im Stadtbild zu erkennen sind. Die letzten Reste des ursprünglichen Geburtshauses gingen bei der Brandkatastrophe vom 23. Juli 1873 verloren. An gleicher Stelle (Straubinger Straße 2) steht heute ein Gebäude, das in den Jahren danach errichtet wurde.
Im Jahr 1894 führte der Historische Verein für Oberpfalz und Regensburg und die Stadt eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Nikolaus Luckner durch. Anlass war sein 100-jähriger Todestag. Zur bleibenden Erinnerung stiftete man die heute noch vorhandene Gedenktafel. Auf dieser Tafel wird sein Geburtsdatum mit dem 11. Januar 1722 angegeben. Auch wenn dieses Datum hier in Stein gemeißelt ist und damit unverrückbar erscheint, gibt Luckner selbst, wie auch andere Autoren, den 12. Januar 1722 an. Seine Taufe nach katholischem Ritus wurde sicher in einem Matrikelbuch der Pfarrei St. Jakob eingetragen. Leider kann man dort nicht mehr nachlesen, denn beim Stadtbrand von 1742 gingen all diese Dokumente in Flammen auf. Der exakte Tag seiner Geburt ist somit nicht mehr festzustellen.
Nikolaus Luckner und seine Familie
Seine Mutter hieß Maria Franziska Billich. Ihre Familie besaß in Kötzting die einzige Privatbrauerei und viele andere Gebäude und Grundstücke. Man kann sie somit als die wirtschaftlich führende Familie im Ort bezeichnen. Mit jugendlichen 16 Jahren (*1690) heiratete Maria Franziska ihren Ehemann Samuel Luckner, der ebenfalls das Brauen beherrschte. Die Hochzeit fand im Haus der Brauteltern statt. Das entspricht heute dem Haus des Gastes bzw. Hotel zur Post in Bad Kötzting.
Samuel Luckner war Bierbrauer, aber auch Gastwirt und Hopfenhändler. Bei der Familie Luckner können wir ebenfalls eine hervorgehobene Stellung innerhalb der Chamer Stadtgesellschaft vermuten. Samuel Bildnachweis: Stadtarchiv Cham Bildnachweis: Stadtarchiv Cham 2 Luckner war Ratsherr, was einem heutigen Stadtrat entspricht. Man übertrug ihm die Aufgabe eines Kirchen- und eines Spitalverwalters. Außerdem wählte man ihn zum Stadtkämmerer. Dieses Amt war vergleichbar mit dem eines Bürgermeisters heutzutage.
Nikolaus Luckner hatte noch fünf Brüder und zwei Schwestern.
Der Älteste war Joseph Abraham (*10.02.1709). Er trat in den Benediktinerorden ein (1728 Stift Niederalteich bei Deggendorf). Später wurde er Prior, studierte in Prag und Innsbruck, promovierte zum Doktor beider Rechte und erhielt die Priesterweihe.
Die älteste Schwester Maria Klara (*12.01.1711) wurde Nonne und später Äbtissin im Kloster St. Klara zu Regensburg. 1713 wurde Maria Franziska geboren. Sie heiratete einen Offizier, den Obristwachtmeister von Thiboust.
Nachdem der älteste Sohn in den geistlichen Stand getreten war, bekam der zweitälteste den größten Besitz in Kötzting. Wolfgang Samuel (*18.05.1715) übernahm 1737 den Gasthof zur Post. Er wurde wie sein Vater zum Ratsherrn und zum Kämmerer gewählt, allerdings nicht in Cham, sondern in Kötzting.
Auch die weiteren Brüder Nikolaus Luckners blieben in der Gastronomie tätig. Sie waren in ihren jeweiligen Orten Gastwirte und damit zugleich Bierbrauer, teilweise auch Hopfenhändler. Aufgrund ihrer hohen Stellung in der Bürgerschaft übten sie auch Ehrenämter aus, wie z. B. Ratsherr (Zwiesel, Cham) oder Kirchenverwalter (Cham). Johann Wolfgang (*10.04.1717) lebte in Zwiesel, Franz Bonaventura (*12.07.1719) in Straubing.
Franz Joseph (*um 1724), der jüngste Bruder, wurde Gastwirt in der Stadt Cham und damit der Stammvater der Chamer Luckner. Nach einigen Jahren in Kötzting kehrte er 1746 in seine Geburtsstadt zurück. Im Jahr 1749 erwarb Joseph den Gasthof zum Schwan. Im selben Jahr heiratete er. Seine Nachkommen blieben dem Wirtshaus bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts treu. Aus diesem Grund sprach man allgemein nicht mehr vom Gasthaus zum Schwan, sondern vom Gasthaus Luckner. Das Gebäude stand in der Schwanenstraße, Ecke Fuhrmannstraße. Der Abriss des alten Gasthauses erfolgte 1977. An gleicher Stelle entstand der Erweiterungsbau für die Filiale der Raiffeisenbank.
Einen tiefen Einschnitt bedeutete für die Familie das Jahr 1730. Am 30. Juni verstarb der Vater des achtjährigen Nikolaus. Ein Grabdenkmal (Epitaph) erinnert heute noch an dieses Ereignis. Es befindet sich im Innern der Stadtpfarrkirche St. Jakob neben dem südlichen Portal. Ein Epitaph an so prominenter Stelle unterstreicht seinen Einsatz für die Pfarrkirche und seine hervorgehobene Stellung innerhalb der Chamer Bürgerschaft.
Ohne Ehemann wollte die Witwe nicht länger in Cham bleiben. Sie zog mit allen Kindern zu ihrer Mutter nach Kötzting. Dort übernahm sie den Gasthof zur Post und im Jahr 1731 verlieh man ihr das Bürgerrecht des Marktes. Dies war der einzige Fall zu dieser Zeit, dass einer Frau das Bürgerrecht verliehen wurde. Ein Beispiel dafür, dass auch die Familie der Mutter großen Einfluss besaß. Im Jahr darauf heiratete Maria Franziska zum zweiten Mal. Der Ehemann war Franz Alexander Wissmann aus Donaustauf. Bereits vier Jahre später verstarb sie in Kötzting (+14.2.1736).
Luckner und seine frühen Jahre
Über Nikolaus Luckner und seine frühen Jahre ist kaum etwas bekannt. In der heimatgeschichtlichen Literatur kann man immer wieder lesen, dass er für ein Studium vorgesehen war, um später die Laufbahn eines Geistlichen oder Beamten einzuschlagen. Der Heimatforscher Joseph Rudolph Schuegraf war der Erste, der 1821 schrieb, dies sei der Wunsch des Vaters gewesen. Es heißt weiter, Luckner habe zunächst die Lateinschule in Cham besucht. So eine Schule sollte für den geistlichen Beruf oder ein späteres Studium vorbereiten. Originalquellen, die diese Aussage beweisen, sind allerdings nicht vorhanden.
Nach dem Tod des Vaters soll Nikolaus die Schule gewechselt haben. Das Jesuitenkolleg in Straubing gilt als nächste Station. Allerdings geben die Schüler-Verzeichnisse keine Auskunft darüber, weil die erhaltenen Aufzeichnungen erst 1739 beginnen. Am glaubhaftesten erscheint der Beleg, den der Lehrer Anton Adermayr 1894 für einen möglichen Aufenthalt Luckners am Jesuitenkolleg in Straubing nennt: eine Quittung für seinen Vormund, in der sich Luckner als Student der Syntax in Straubing bezeichnete. Aber auch dieses Schriftstück steht uns nicht mehr zur Verfügung.
Im Jesuitenkolleg in Passau soll Nikolaus seine Studien fortgesetzt haben. Leider können uns auch dafür die vorhandenen Unterlagen keinen schriftlichen Beweis liefern. Wenn wir der heimatkundlichen Literatur dennoch Glauben schenken, dann bereitete Nikolaus seinen Lehrern einiges Kopfzerbrechen. Die Jesuiten mussten feststellen, dass dem jungen Chamer nicht der Sinn nach Büchern und dem Studieren stand. Je älter er wurde, umso schwerer ließ er sich bändigen. Aus diesem Grund bekam er von den Jesuiten den lateinischen Beinamen „Libertinus“, was sich mit „Wildfang“ oder „Freigeist“ übersetzen lässt. Nikolaus scheint sich damals gegen die vorgesehene Laufbahn entschieden zu haben.
Der Eintritt in die Armee und Rückkehr nach Cham
Nikolaus Luckner ließ in späteren Jahren (nach 1765) für seinen neuen Arbeitgeber, die französische Armee, einen beruflichen Lebenslauf verfassen. Darin gibt er zur Papier, er sei bereits 1737, also mit 15 Jahren, zum Militär gegangen. Er sei damals Kadett, also schon im Rang eines Offiziersanwärters gewesen und habe im bayerischen Infanterieregiment Morawitzky gedient. Laut Akten im Bayerisches Hauptstaatsarchiv in München (Abteilung IV Kriegsarchiv) kann das so nicht stimmen. Luckner trat erst Anfang 1741 in dieses Infanterieregiment ein, also mit 19 Jahren. Im Jahr 1741 ist er als gemeiner Füsilier verzeichnet. So ein Füsilier war ein einfacher Soldat der leichten Infanterie, der mit einem Steinschlossgewehr bewaffnet war.
Auch bei der Beschreibung seines militärischen Aufstiegs scheint er manches durcheinandergebracht zu haben. Er könnte aber auch versucht haben, seinem Lebenslauf noch etwas mehr Glanz zu verleihen. Genaueres ist nicht bekannt. Laut den Akten erklomm er in der Anfangszeit die militärische Karriereleiter nicht ganz so schnell, wie er es schilderte. Den Rang eines Fähnrichs bekam er 1742 und nicht schon 1739, wie er angab. Bei der Beförderung zum Oberleutnant war Luckner in seinen Aufzeichnungen zwei Jahre zu früh dran. Diese Position wurde ihm erst im Februar 1745 zuerkannt. Damals war er nicht mehr bei der Infanterie, sondern er diente bei den leichten berittenen Truppen, im Husarenregiment Ferrari.
Das Soldatenleben, das Luckner gewählt hatte, führte ihn in den nächsten Jahren durch viele Orte und Länder des Deutschen Reiches und Europas. So ein unstetes Leben, wie es Luckner gewählt hatte, unterschied ihn von dem seiner Zeitgenossen, die Landwirtschaft oder ein kleines Handwerk betrieben und in ihrem ganzen Leben kaum die Grenzen ihres Dorfes oder ihrer Stadt überschritten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich Nikolaus nochmals in seiner Geburtsstadt Cham aufhielt. Der einzige Augenzeuge, den wir für diese Jahre haben, ist Herr Baader von Kollenberg. Er bestätigt Luckners Rückkehr. Im Frühjahr 1745, als Baader zehn Jahre alt war, sollen Nikolaus Luckner und zwei weitere Chamer Bürgersöhne (Altmann, Mayrlipp) mit bayerischen Truppen in ihrer Geburtsstadt gewesen sein. Auch Luckner selbst erwähnt Cham in einem Bericht im August 1745. Eine nochmalige Rückkehr in seine Geburtsstadt lässt sich nicht mehr nachweisen. Der Anblick der durch die Panduren niedergebrannten und geplünderten Stadt könnte Nikolaus bestärkt haben, weiterhin beim Militär zu bleiben und dort seine Chancen zu nutzen.
Luckners militärische Karriere nimmt Fahrt auf
Nach dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges in Bayern (1745) wechselte Luckner auf einen neuen Kriegsschauplatz und zwar in die Niederlande. Frisch befördert zum Kapitänleutnant diente er im Husaren-Regiment Frangipani. Das neue Einsatzgebiet ergab sich aus einem Vertrag zwischen dem bayerischen Landesherrn und den Provinzen der Niederlande. In dem Abkommen hatte die bayerische Seite dieses Husaren-Regiment vermietet. So ein geschäftlicher Umgang mit den Landeskindern war im 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Dem Regiment angeschlossen hatte sich auch der Arzt Johann Kaspar Schiller, der Vater des berühmten Dichters Friedrich Schiller.
Bei den Frangipani-Husaren lernte Nikolaus Luckner den so genannten „Kleinen Krieg“ kennen und verfeinerte sein Können auf diesem Gebiet der Kriegsführung. Dafür waren die regulären Regimenter zu unbeweglich. Es wurden Spezialisten gebraucht, weshalb man die „leichten Truppen“ aufstellte. Diese Abteilungen bestanden aus Reiterei oder Fußtruppen und waren im Rücken des Feindes aktiv, wo sie aufklärten, aus dem Hinterhalt angriffen oder den gegnerischen Nachschub unterbanden. Ausgeklügelte Schlachtpläne waren hierfür nicht zu gebrauchen. Stattdessen zählten Einsatz und Geschick, das Gespür für die militärische Lage und vor allem die Fähigkeit, auch in gefährlichen Situationen rasch und unkonventionell zu reagieren. Luckner zeigte bald eine besondere Begabung für diese Form der Kriegsführung.
Nach dem Jahr 1749 schied Luckner wohl aus der Armee aus und ließ sich in Niederländisch-Limburg nieder. Dieses Gebiet liegt heute an der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden. In diese Zeit fällt seine Heirat mit Johanna Cornelia (geb. Cuijpers). Das genaue Datum der Eheschließung ist nicht bekannt, aber 1750 kam der erste Sohn zur Welt. Zwei Mädchen wurden hier geboren und in der Festungsstadt Stevenswert getauft bzw. eines auch bestattet. Diese Stadt verdankt ihre Entstehung einer im 17. Jahrhundert angelegten Festung. Durchaus ein passender Ort für einen pensionierten Major der Husaren. In Stevenswert traten Nikolaus Luckner und seine Frau 1757 zum reformierten Bekenntnis über. Es ist nicht sicher, warum er den Glauben wechselte. Vermutet wird, dass es mit seinem künftigen Arbeitgeber zu tun hatte. Luckner wollte schon bald in hannoversche Dienste treten und dort dominierte der evangelische bzw. reformierte Glaube.
Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) stand er in hannoverschen Diensten. Im Rang eines Majors befehligte er sein eigenes Freikorps, die Luckner-Husaren. Bei diesen Soldaten sorgte er selbst für Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung. Zunächst war man im Stab des Herzogs von Braunschweig skeptisch, was man von diesem Mann halten sollte. Einem Major, dem die einfache, offene Art seiner Soldaten lieber war, als der geschliffene Umgangston der Offiziere. So gab der herzogliche Berater zu bedenken: „Luckner scheine ihm nichts Großes zu sein, da man aber keinen besseren habe, möge man ihn konservieren.“ Allerdings sprachen seine militärischen Erfolge für ihn. Ohne sein beherztes Eingreifen wäre beinahe Herzog Ferdinand selbst in französische Gefangenschaft geraten. Nun hieß es überall: „Luckner verrichtet Wunder ...“
Seine Husaren waren auf dem gesamten Kriegsschauplatz bekannt und von den Gegnern gefürchtet. Die militärischen Erfolge führten dazu, dass man Luckner als Befehlshaber auch größere Einheiten übertrug. Gerade in diesen Jahren konnte er sich einen europaweiten Ruf als überdurchschnittlicher Truppenanführer erwerben. Einen Ruf, der später die Grundlage für seinen beachtlichen Aufstieg bildete.
Eine so steile Karriere war im 18. Jahrhundert für einen Bürgerlichen eine Seltenheit. Möglich gemacht nur dadurch, dass Luckner einem, im Vergleich zur restlichen Armee, weniger angesehenen Truppenteil angehörte. Bei der Kavallerie oder der Infanterie zum Beispiel waren die höheren Dienstgrade allein Adeligen vorbehalten. Dazu kam noch die Ausnahmesituation des Krieges, die seinen Aufstieg erleichterte.
Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges wurde sein Regiment aufgelöst, weil der Herzog von Braunschweig keine Verwendung mehr für ihn hatte. Verärgert suchte er nach einer neuen Aufgabe. Da ihn seine militärischen Leistungen sehr bekannt gemacht hatten, warben mit Frankreich und Russland gleich zwei europäische Großmächte um seine Gunst. Er entschied sich 1763 für das lukrativere, französische Angebot. Ein solcher Frontenwechsel zum ehemaligen Feind war zu damaliger Zeit nicht ungewöhnlich.
Landgüter und Adelstitel
Abgesehen von den Beförderungen lohnte sich die Militärzeit auch finanziell für Luckner. Die regulären Zahlungen, die zusätzlichen Geschenke des Herzogs von Braunschweig und nicht zu vergessen die Beute, die er bei seinen erfolgreichen Aktionen machte, verhalfen ihm zu einem beträchtlichen Vermögen. Damit konnte Nikolaus Luckner umfangreiche Güter in Holstein erwerben. Im Jahr 1761 kaufte er Gut Blumendorf. Gut Schulenburg folgte 1763.
Die politische Landkarte sah zu Luckners Zeiten noch anders aus als heute. Holstein und damit auch die Güter Blumendorf und Schulenburg lagen auf dänischem Gebiet. In diesen Jahren wurde aus dem Chamer Bürgerssohn ein dänischer Adliger. Der König von Dänemark, dem damals Holstein unterstand, erhob Nikolaus Luckner 1778 in den Freiherrnstand. Sechs Jahre später erfolgte die Aufnahme in den erblichen dänischen Grafenstand. Im Alter von 62 war er nun auch offiziell Graf von Luckner. Er hatte damit den Höhepunkt seines sozialen Aufstiegs erreicht. Im Jahr 1790 nahm ihn auch die schleswig-holsteinische Ritterschaft in ihre Reihen auf.
Als dänischer Graf führte Luckner auch ein eigenes Wappen. Dessen Bestandteile sind unter anderem zwei Löwen, die die dänische Nationalflagge (Dannebrog) halten. Zwei aufrecht stehende Geschützmörser und sechs aufeinanderliegende Kanonenkugeln. Aussagekräfte Wappenelemente für einen Mann, der durch seine Erfolge im Krieg in den Adelsstand aufstieg.
Für Graf Luckner gab es in den nächsten Jahren keine Möglichkeit mehr, sich militärisch auszuzeichnen. Nur drei Frankreichaufenthalte sind für den Zeitraum von 1763 bis 1788 verzeichnet. Einer davon bestand aus einem Übungslager (1778). Ansonsten verbrachte er lange Jahre der Inaktivität auf seinen Besitzungen in Holstein. Geblieben war ihm sein legendärer Ruf aus dem Siebenjährigen Krieg und seine hohe jährliche Soldzahlung aus Frankreich (36.000 Livre)
In dieser Zeit erwarb er als dritten Besitz 1783 Depenau bei Plön (nordwestlich von Eutin). Außerdem festigte er die Stellung seiner Familie im örtlichen Adel, indem er seine älteren Kinder standesgemäß verheiratete. Seine jüngsten Kinder sicherte er 1790 finanziell über einen Testamentsnachtrag ab. Luckner war mit 60 bzw. 66/67 Jahren nochmals Vater geworden. Eine Tochter und ein Sohn stammten aus einer Verbindung mit seiner Haushälterin. Wann seine Ehefrau verstarb, ist nicht ganz geklärt. Luckner selbst gab das Jahr 1771 an, es könnte aber auch wesentlich später gewesen sein. Nach anfänglichen Verschleierungsversuchen bekannte sich Luckner zu diesen Kindern. Der jüngste Sohn erhielt den Namen Samuel Renkul. Das war nicht etwa der Nachname der Mutter, sondern die Buchstaben des Namens Luckner in umgekehrter Reihenfolge gesetzt, also ein Anagramm. Luckner führte 26 Jahre lang ein ruhiges Leben auf seinen Gütern, ehe er sich erneut für höhere Aufgaben ins Gespräch brachte.
Der Höhepunkt Luckners Karriere und Widmung der Marseillaise
Der Ausbruch der Französischen Revolution am 14. Juli 1789 kündigte das Ende der Friedensphase an. Luckner wollte wieder in den aktiven Dienst treten. Sein Engagement für eine Reaktivierung sorgte außerdem dafür, dass die neue französische Regierung seinen hohen Sold weiterhin zahlte, trotz eines rigorosen Sparprogramms.
Luckner war mittlerweile 67 Jahre alt. Das Glück, nie ernsthaft verwundet worden zu sein, und seine erstaunliche Konstitution, hatten es ihm ermöglicht, die Strapazen des Soldatenlebens erstaunlich gut zu verkraften. Mit dem Ziel, sich in Frankreich wieder in Erinnerung zu bringen, machte er am 10. Juli 1790 der Nationalversammlung seine Aufwartung und am 14. Juli nahm er am Konföderationsfest teil. Diese Gesten ließen ihn als einen der neuen politischen Entwicklung aufgeschlossenen General erscheinen und hatten schließlich Erfolg.
Am 1. April 1791 erhielt Luckner ein erstes Kommando. Zunächst kontrollierte er mit seinen Truppen die Grenze zu Sardinien-Piemont im Südosten Frankreichs. Am 30. Juli 1791 übertrag man ihm den Oberbefehl über drei große Armeeblöcke an der Ostgrenze, die gewöhnlich als Rheinarmee bezeichnet werden. Luckners Hauptquartier lag damals in Straßburg. Der Höhepunkt seiner militärischen Laufbahn folgte am 28. Dezember 1791. Damals ernannte man ihn gemeinsam mit dem Oberkommandierenden der Nordarmee, Rochambeau, zum Marschall von Frankreich.
Allerdings bedeutete diese hohe Ehre auch eine schwere Bürde. Luckner hatte noch keine Schlacht für Frankreich geschlagen. Mit der Verleihung des Marschallstabes verband nicht nur die französische Führung, sondern auch die Öffentlichkeit, die Hoffnung auf seine zukünftigen Erfolge. Luckner selbst bestärkte diese Erwartungshaltung noch, indem er anfangs durchaus optimistische Berichte zur Lage der Armee schrieb und im Kriegsfall für eine offensive Strategie eintrat.
In den folgenden Monaten verschärfte sich die außenpolitische Lage. Am 20. April 1792 erklärte Frankreich Österreich den Krieg. Während führende Militärs, angesichts des desolaten Zustands der Armee, vor einem solchen Konflikt gewarnt hatten, war in der Bevölkerung eine zunehmende Kriegsstimmung spürbar. Nach dem Beginn des Konflikts kam der Rheinarmee zunächst eine weitgehend passive Rolle zu.
Dies tat aber der Kriegseuphorie keinen Abbruch und so verfasste der Ingenieurleutnant Rouget de Lisle den Kriegsgesang für die Rheinarmee. Heute besser bekannt als die Marseillaise. Als Zeichen seiner besonderen Wertschätzung widmete Rouget de Lisle dieses Lied seinem Kommandeur, dem Marschall Luckner. Es war damals nicht unüblich neu entstandene Werke, seien sie nun literarischer oder musikalischer Natur dem Landesherrn oder anderen hochstehenden Persönlichkeiten zu verehren. Deswegen findet sich auf der ersten gedruckten Auflage die Widmung für den Marschall Luckner. Diese Widmung ist ein gutes Beispiel dafür, wie fest das Vertrauen in Luckners Fähigkeiten war.
Der tiefe Fall
Wenige Wochen später sollte Luckner diese hohen Erwartungen erfüllen. Schauplatz waren die österreichischen Niederlande, das heutige Belgien. Ein erster Vorstoß der französischen Nordarmee unter Marschall Rochambeau war kläglich gescheitert. Nun war es Luckners Aufgabe, das Kommando zu übernehmen und Erfolge zu liefern.
Nachdem er aber seine neuen Truppen inspiziert hatte, schrieb Luckner schockiert nach Paris: „Der Mangel übersteigt alles Denkbare!“ Es fehlte an der nötigen Ausrüstung und Bewaffnung. Die wenigen Offiziere besaßen bei den Soldaten keine Autorität. Luckner zögerte mit dem Angriff. Da man aber in Paris bereits ungeduldig wurde, überschritt Luckner dennoch die Grenze zu Belgien. Trotz der ungünstigen Ausgangslage errang er erste kleinere Siege. Weil wiederholt geforderte Verstärkungen ausblieben, kam der Vormarsch zum Stillstand. Als die belgische Bevölkerung sich nicht den Franzosen anschloss, wie man es erwartet hatte, sondern sich sogar feindselig zeigte, wurde die Situation immer schwieriger. Nachdem die französische Revolutionsarmee einer Übermacht österreichischer Truppen gegenüberstand, befahl Luckner Ende Juni 1792 den Rückzug. Diese Entscheidung führte zu heftigen politischen Diskussionen, wobei man die Schuld zunächst noch nicht Luckner gab. Allerdings befeuerte der Marschall die Zweifel an seiner Person 7 durch unglückliche Aussagen und Aktionen. Zum Verhängnis wurden ihm dabei seine mangelhaften Französischkenntnisse. Da er bei der Korrespondenz auf die Hilfe Dritter angewiesen war, machte ihn das zu einem leichten Spielball unterschiedlicher Interessensgruppen. Schließlich geriet er in Verdacht, an den Planungen zu einem Marsch auf Paris zur Befreiung des Königs, Ludwig XVI., beteiligt gewesen zu sein. Luckner konnte den Verdacht zunächst ausräumen, indem er sich auf sein unzureichendes Französisch berief.
Der Durchbruch starker preußischer Truppenverbände an einem Grenzabschnitt, den Luckner zu verteidigen hatte, führte am 21. August 1792 zum Verlust seines Kommandos über die Zentrums- und Rheinarmee. Obwohl er noch mit dem Ehrenamt eines Generalissimus der französischen Armeen dekoriert wurde, hatte man ihn bereits ins Abseits geschoben. Als den französischen Truppen kurz darauf der Sieg bei Valmy gelang, war Luckner entbehrlich geworden. Der Mann aus Cham erhielt seinen Abschied. Am 8. Januar 1793 durfte sich der Marschall dann an einen Ort seiner Wahl zurückziehen. Seine Besoldung von 36 000 Livres sollte ihm weiter ausbezahlt werden. Luckner ließ sich daraufhin in Straßburg nieder. Weil er aber als Militär im Ruhestand wenigstens 20 Meilen von der Grenze entfernt wohnen musste, übersiedelte Luckner in die Nähe von Luneville.
In der Zwischenzeit begann sich in Paris das politische Klima zu verschärfen. Die radikalen Kräfte hatten die Oberhand gewonnen, so dass sich die Revolution von ihrer blutigen Seite zeigte. Mit unliebsamen Zeitgenossen machte man nun kurzen Prozess. Unter diesen unsicheren Verhältnissen beging Graf Luckner den Fehler, an die Regierung Forderungen zu stellen, weil seine Pensionszahlungen ausblieben. So wie er die Revolution nie recht verstanden hatte, so wurde ihm jetzt auch die Gefahr nicht bewusst, in die er sich begab. Luckner war vermögend genug, um den Verlust dieser Summe verschmerzen zu können. Ein Beweggrund könnte gewesen sein, dass er in den ausbleibenden Zahlungen eine Missachtung seiner für Frankreich erbrachten Leistungen sah.
Schließlich wurde er am 19. Oktober 1793 in Luneville verhaftet. In der Hauptstadt erfolgte die Anklage. Landesverrat, Beteiligung an einer Verschwörung gegen die Republik, Zusammenarbeit mit den Feinden Frankreichs und andere Anklagepunkte wurden aufgelistet. Seine Beziehungen zu Lafayette, der geplante Marsch auf Paris und andere dunkle Punkte in seinem Verhalten lieferten dem öffentlichen Ankläger Material genug. Neun teilweise sehr prominente Belastungszeugen (u. a. Karl von Hessen) unterstützten die Anklage. Luckner betonte seine Unschuld, doch der Todesstrafe konnte er nicht entgehen. Am 4. Januar 1794 wurde das Urteil vollstreckt. Im Henkerkarren brachte man ihm zum Platz der Revolution (heute: Place de la Concorde), wo bereits die Guillotine stand. Luckners Leichnam kam, wie der vieler anderer, in ein anonymes Massengrab auf dem Friedhof de la Madeleine. Jahrzehnte später ließ man diesen Friedhof auf, wie auch andere Begräbnisstätten in der Hauptstadt. Die Gebeine wurden in die Katakomben überführt, wo sie seitdem unter den Straßen von Paris ruhen. Dass man an ihm, einem Repräsentanten der alten, königlichen Armee, nur ein Exempel statuieren wollte, zeigt die Aufhebung auch dieses Urteils und seine Rehabilitierung im Jahr 1795. Sein ältester Sohn erhielt das beschlagnahmte Gut des Marschalls zurück und der Nationalkonvent erklärte, „daß der Marschall von einer blutdürstigen Faction ungerecht gemordet worden sei“.
Erinnerungen an Nikolaus Luckner
Luckner konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen, die man in Frankreich in ihn setzte. Dennoch erinnert man dort bis heute an ihn. Neben anderen Generälen ziert auch sein Name den Arc de Triomphe in Paris. Im Armeemuseum der Hauptstadt sind der Marschall-Stab, sein Degen, Kleidung und andere Exponate über ihn ausgestellt.
In seiner Geburtsstadt in Cham ist die Erinnerung an den großen Sohn ebenfalls lebendig. Bereits am 29. Oktober 1880 beschloss der Stadtmagistrat (heute: Stadtrat), die damalige Bockgasse in Lucknerstraße umzubenennen. Danach dauerte es eine lange Zeit, bis man ihn sozusagen wiederentdeckte.
Diese Wiederentdeckung seiner Person fand in den 1970er Jahren statt, und stellte nicht den Befehlshaber und seine militärischen Erfolge in den Mittelpunkt, sondern seine Verbindung zur französischen Nationalhymne. In der Folgezeit baute man den Marschall und die Marseillaise als Faktoren für den Chamer Tourismus auf. Dazu gehörte auch das Glockenspiel am Rathaustürmchen dessen Idee bereits auf das Jahr 1974 zurückgeht. Es dauerte allerdings noch etliche Jahre bis sich das Glockenspiel, finanziert durch private Spenden, realisieren ließ. Zum 200. Todestag, am 4. Januar 1994, hörte man erstmals die Marseillaise am Chamer Marktplatz. Seitdem erklingt diese Melodie jeden Tag um 5 Minuten nach 12 Uhr.
Nicht heroisch, sondern eher humorvoll stellte der Künstler Josef Michael Neustifter Luckner als Figur des Chamer Marktplatzbrunnens dar. Diese Brunnen mit seinen Bronzefiguren wurde im Juni 1995 eingeweiht. Das Abbild des Grafen Luckner hält in der einen Hand Marschallstab und Degen, in der anderen das Notenblatt der Marseillaise.
Das sind nur die wichtigsten, aber nicht die einzigen Beispiele für die modernen Luckner-Erinnerungen in Cham. Seit November 2007 begegnet man Luckner auch als Werbefigur an verschiedenen Ecken Chams.
Nikolaus Luckners Lebensgeschichte zeigt uns einen Menschen, dem der sagenhafte Aufstieg vom einfachen Bürger zum Adeligen und vom gemeinen Soldaten zum Marschall gelang. Die Konflikte und Kriege des 18. Jahrhunderts waren für Nikolaus Luckner ein Karrieresprungbrett. Sie machten ihn bekannt und wohlhabend. Der großen Mehrheit der Bevölkerung aber brachten sie nur Zerstörung, Not und Tod. Das war vor 300 Jahren so und das sehen wir auch heute wieder beim Blick auf die aktuellen Ereignisse. Als der Graf auf dem Höhepunkt seiner Karriere stand, wurde ihm sein fehlendes Verständnis für die politische Lage zum Verhängnis. Während ihn sein Instinkt auf dem Schlachtfeld selten trog, fand er sich in der ungewohnten Welt des französischen Hofes und der französischen Generalität nicht zurecht. Seine Offenheit sowie sein mangelhaftes Französisch machten ihn zu einem Spielball der sich bekämpfenden Parteien.
Bei der Beurteilung des Grafen Nikolaus von Luckner wäre es verfehlt, die Wertmaßstäbe unserer Zeit anzulegen. Vielmehr sollte man ihn als ein Kind seiner Zeit sehen. Einen Mann, dem man zweifellos für das 18. Jahrhundert eine außergewöhnliche Karriere bescheinigen kann und der durch seine Verbindung zur Marseillaise immer wieder für Erstaunen sorgt.
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